Gert De Winter

Gert De Winter (1966) ist Belgier und erwarb in Antwerpen einen MSc in angewandten Wirtschaftswissenschaften. Von 1988 bis 2004 hatte er bei Accenture, Brüssel, verschiedene Funktionen zum Transformationsmanagement im Finanzsektor inne. 2000 wurde er Partner. 2005 trat er als Chief Information Officer (CIO) und Leiter HR der Mercator Versicherungen, Belgien, in die Baloise Group ein. Von 2009 bis 2015 hatte er als Chief Executive Officer die Leitung der Baloise Insurance inne, die 2011 aus der Zusammenführung von Mercator, Nateus und Avéro hervorging. Seit dem 1. Januar 2016 ist Gert De Winter Vorsitzender der Konzernleitung (Group Chief Executive Officer).

«In 10 Jahren sind wir mehr Technologieunternehmen denn reine Versicherung»

Was macht für Sie gute und zeitgemässe Führung aus?
Gute Führung bedeutet für mich, klare Rahmen und Spielregeln festzulegen, den Teams jedoch viele Freiheiten zu ermöglichen. Führen heisst Fragen stellen und nicht nur Antworten geben. Als CEO bin ich auch «Chief Listening Officer»: Ich höre zu und versuche herauszufinden, was meine Mitarbeitenden beschäftigt. Nur so kann ich den Puls der Organisation fühlen. Ich wirke als Coach und verzichte möglichst darauf, Kontrolle auszuüben, das ist nicht mehr zeitgemäss. Stattdessen fördere und fordere ich Eigenverantwortung und setze konsequent auf Empowerment.

Die Digitalisierung schreitet voran. Welche spezifischen Profile holen Sie deswegen ins Unternehmen, und auf welchen Levels setzen Sie sie ein?
In der Versicherungsbranche war IT früher ein Arbeitsinstrument, heute steht sie im Zentrum. In 10 Jahren sind wir mehr Technologieunternehmen denn reine Versicherung. Heute gibt es viele neue Profile, die wir anziehen. Dazu gehören die üblichen Verdächtigen im Bereich Data Analytics, IT, Customer Journey, Design Thinking etc. Gleichzeitig sind wir ein Haus der tausend Berufe mit einer hohen Diversität. Neben digitalen Fähigkeiten brauchen wir interdisziplinäre Kompetenzen, Scrum Masters, Querdenker für Innovationen und Gründertypen, die es anders machen. Wir bauen diese Profile gezielt intern auf. Wir investieren stark in die Arbeitsmarktfähigkeit unserer Mitarbeitenden. Im Kundenservice haben wir beispielsweise ein Experiment gestartet, in dem Mitarbeitende 10% ihrer Arbeitszeit für die Weiterbildung aufwenden.

Vor vier Jahren kamen Sie in die Schweiz und traten an die Spitze der Baloise. Welchen Wandel und welche Veränderungen haben Sie seither angestossen?
Nicht ich allein habe Veränderungen angestossen, sondern wir gemeinsam als Team. Wir haben eine klare Strategie definiert, die Produkte für Partner und Kunden zu vereinfachen und zusätzliche Dienstleistungen ausserhalb des Versicherungsgeschäfts anzubieten. Zudem haben wir die Kultur der Baloise weiterentwickelt. «Culture eats strategy for breakfast» – davon bin ich persönlich überzeugt. Wir setzen stark auf Innovation, unternehmerisches Denken und Eigenverantwortung – getreu dem Motto «Don’t ask for permission. Ask for forgiveness if it goes wrong.»

Der Ausländeranteil in den Geschäftsleitungen von Schweizer Unternehmen liegt bei 44%. Wie beurteilen Sie die Wichtigkeit der Zuwanderung für die Schweiz im Allgemeinen und Ihr Unternehmen im Besonderen?
Für die gesamte Schweiz ist die Zuwanderung zentral. Sie verleiht ihr ihre grosse Diversität. Aber nicht nur die Zuwanderung, auch die Auswanderung ist wichtig: Schweizer Talente sammeln im Ausland wertvolle Erfahrungen, die sie in die Schweiz importieren. Für unseren Standort in Basel – im Dreiländereck – ist die Zuwanderung sogar noch zentraler. Rund ein Viertel unserer Mitarbeitenden sind nicht Schweizer. Ohne unsere Nachbarländer hätten wir grosse Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen. Die politische Diskussion um eine Begrenzung der Zuwanderung erhöht vielleicht kurzfristig das Nationalgefühl, aber schwächt die Schweizer Wirtschaft.

Welche Bedeutung räumen Sie der Gender Diversity in Ihrem Unternehmen ein, und welche Massnahmen haben Sie definiert, um den Frauenanteil in den Führungsgremien zu erhöhen?
Gender Diversity ist sehr wichtig, aber auch andere Arten von Diversität wie Alter und Herkunft. Man muss früh in die Gender Diversity investieren, denn es braucht viel Zeit, damit sie Normalität wird. Wir verlangen bei der Besetzung von Managementpositionen konsequent mindestens eine Frau auf der Shortlist. Zudem kommen bei uns über 90% der Mitarbeiterinnen nach dem Mutterschaftsurlaub zurück an den Arbeitsplatz. Wir bieten flexible Arbeitsmodelle und Teilzeitarbeit – auch im Topmanagement – und eine firmeneigene Kinderkrippe. Nicht zuletzt führen wir einen Lohngleichheitsdialog, der uns Lohngleichheit garantiert. Sie legt die Basis: ohne Lohngleichheit keine Gender Diversity.